Ein Grund, warum ich mich für dieses Interview entschieden habe, ist, dass ich mich dem weltweiten Aufruf zum Handeln im Rahmen des Weltkrebstages anschließen möchte. Zum einen Handeln, um über den eigenen Lebensstil nachzudenken, zum anderen Handeln, um zu Vorsorgeuntersuchungen zu gehen. Selbst als sportlicher, gesund lebender und relativ junger Mensch wurde bei mir Brustkrebs diagnostiziert. Die Vorsorgeuntersuchungen haben mir zweifellos das Leben gerettet.
Es gibt jedoch noch ein anderes Thema, das mir sehr am Herzen liegt. Viele Menschen, die die Diagnose Krebs erhalten, denken, dass dies das Ende der Welt bedeutet. Meine Botschaft an sie lautet: In gewisser Weise ist es das – aber dann auch wieder nicht.
Man hört oft Leute sagen, dass jede Krise eine positive Seite hat und dass man daraus etwas lernen kann. Ehrlich gesagt war mein erster Gedanke: „Was für ein Unsinn! Es ist einfach schrecklich und es gibt nichts, was man daraus lernen könnte!“ Ich wollte keine tröstenden Worte hören – sie kamen mir damals leer vor. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich ganz langsam anfangen würde, zu sehen, dass sich daraus wirklich etwas Gutes ergeben hat. Ich hätte nie gedacht, dass dies überhaupt möglich ist.
Es ist mir wichtig, zu zeigen, dass es auch in einer extrem schwierigen Situation, wie dieser, positive Ergebnisse gibt und das Leben danach weitergehen kann.
Ich stand völlig unter Schock und hatte große Angst zu sterben. Wie bereits erwähnt, fühlte es sich für mich wie das Ende der Welt an. In diesen ersten Tagen weinte ich viel und klammerte mich an meinen Mann. Wir sprachen viel miteinander und informierten unsere Familie.
Nur wenige Wochen vor meiner Diagnose hatte ich das Angebot erhalten, die Position des Head of Pharmaceutical Ingredients zu übernehmen und damit in die HPM zu wechseln. Der Zeitpunkt war arbeitstechnisch also mehr als ungünstig, aber wenn man eine solche Diagnose erhält, ist die Arbeit nicht das Erste, an das man denkt.
Dennoch habe ich sehr früh an die Arbeit gedacht. Vor der Diagnose war ich unglaublich glücklich und aufgeregt über die neue berufliche Möglichkeit. Ich sah es als eine einmalige Karrierechance, und dann wurde alles zunichte gemacht. Zumindest dachte ich das. Zu meiner Überraschung sagte mir mein zukünftiger Vorgesetzter: „Konzentriere dich darauf, gesund zu werden – der Job wartet auf dich.“ Das hat mich wirklich berührt, und selbst jetzt werde ich emotional, wenn ich daran denke.
Überhaupt haben mich alle bei der Arbeit während des gesamten Prozesses unglaublich unterstützt. Die Tatsache, dass ich die ganze Zeit über meinen Job behalten konnte, war eine große Hilfe für mich. Unser Gehirn kann nur eine Sache auf einmal machen. Und wenn man mit einem Kollegen einen kniffligen Fall bespricht oder den Abschluss eines erfolgreichen Vertrags feiert, müssen Angst und Sorgen schweigen.
Ich war auch sehr offen mit meiner Diagnose, sowohl gegenüber Kollegen als auch gegenüber Kunden. Diese Herangehensweise fühlte sich für mich richtig an – ich wollte authentisch sein, aber ich dachte auch: „Ich habe bereits Krebs. Ich muss nicht auch noch unter einer juckenden Perücke leiden!“
Im Mai 2023, zwei Jahre nach meiner Diagnose, trat ich schließlich meine neue Stelle an. Es war mir wichtig, mich nach Abschluss aller Behandlungen zu 100 % bereit zu fühlen, daher ließ ich mir zwischen dem Ende der Behandlung und dem Beginn des neuen Jobs entsprechend Zeit.
Ich muss sagen, dass ich sehr viel Glück hatte, da ich körperlich nur wenige und auch keine schwerwiegenden Nebenwirkungen hatte. Natürlich hat die Chemotherapie Spuren hinterlassen und ich spüre die Nachwirkungen noch heute. Aber ich kann damit gut leben. Und ich versuche mir stets zu vergegenwärtigen, dass viele Menschen mit chronischen Krankheiten leben.
Psychologisch gesehen war es für mich jedoch viel schwieriger. Mein Behandlungsplan war lang. Er begann mit einer Chemotherapie, um den Tumor zu verkleinern, gefolgt von einer Operation und Bestrahlung und dann wieder einer Chemotherapie. Es fühlte sich endlos an.
Das deutsche Gesundheitssystem ist zwar ausgezeichnet und bietet qualitativ hochwertige Behandlungen, aber es ist völlig überlastet. Das bedeutet, dass das Personal oft nicht die Zeit hat, eine individuelle Betreuung zu gewährleisten. In den meisten Fällen hatte ich das Gefühl, als Objekt oder Nummer behandelt zu werden und nicht als Individuum mit Emotionen und Gefühlen.
Außerdem fühlte sich die Krebsdiagnose für mich, und wahrscheinlich für jeden Betroffenen, wie eine absolute Katastrophe an, die sofort behandelt werden muss. Aber für die Ärzte, die uns behandeln, gilt sie nicht als Notfall. Das wurde mir sehr deutlich gemacht. Es ist ein starker Kontrast in den Perspektiven, an den ich mich immer noch anzupassen versuche und den ich zu diesem Zeitpunkt nicht akzeptieren konnte.
Das mit Abstand Schwierigste an der Chemotherapie war für mich die mangelnde Kontrolle. Ich hatte keine Kontrolle über alles, was mit mir geschah, und konnte nichts dagegen tun. Plötzlich hatte jemand anderes die Kontrolle über mein Leben, und das war extrem schwer zu akzeptieren. Und ich hatte das Gefühl, dass alles vorbei war. Als würde ich mein altes Leben nie wieder zurückbekommen. Dass das Leben als Krebspatient immer wie ein Damoklesschwert über mir schweben würde und ich immer entsprechend handeln müsste, anstatt einfach nur zu leben. Aus diesem Grund entwickelte ich am Ende leichte depressive Tendenzen.
Obwohl meine Prognose für eine Genesung von Anfang an sehr gut war, erinnere ich mich noch gut an etwas, das jemand anderes einmal gesagt hat: „Wenn man mittendrin steckt, glaubt man nicht an die Statistik.“ Genauso ging es mir: Als ich zum Beispiel hörte, dass mein Krankheitsbild eine 95-prozentige Heilungschance hat, konnte ich nur an die 5-prozentige Wahrscheinlichkeit des Todes denken.
Ich war nicht überrascht, dass es Unterstützung gab, aber die Breite hat mich überrascht. Die Leute sagen oft, dass die Welt rau geworden ist und dass wir nicht mehr aufeinander achten. Ich habe das Gegenteil erlebt. aber das habe ich überhaupt nicht erlebt. Meine Familie war für mich da, mein Mann, meine Freunde, meine Kollegen, sogar Menschen, die ich kaum kannte, oder völlig Fremde, sprachen mir Mut zu und spendeten Trost. Und es musste nicht immer ein Gespräch sein. Mit einigen ging ich lange spazieren. Ich erhielt Blumen und Karten. Manchmal musste ich mich sogar von all der Unterstützung distanzieren, weil es zu viel wurde. Und auch das war wirklich schön – es tat gut zu wissen, dass sich die Menschen so sehr um mich sorgten.
Eine weitere Sache, die mir sehr geholfen hat, war Sport. Mir wurde gesagt, dass körperliche Aktivität bei Brustkrebs unglaublich effektiv und positiv ist – sie kann die Heilungschancen um bis zu 50 % erhöhen.
Ich habe mich daher sehr bemüht, aktiv zu bleiben. Natürlich wurde aus Joggen irgendwann Gehen, und wenn ich mich nicht gut fühlte, ging ich reiten. Die Gesellschaft eines Tieres brachte eine zusätzliche emotionale Unterstützung. Trotzdem habe ich mich nie unter Druck gesetzt, eine bestimmte Menge zu tun oder bestimmte Ziele zu erreichen. Ich habe einfach auf meinen Körper gehört und das getan, was sich gut anfühlte.
Positives Denken ist ebenfalls wichtig, aber es ist entscheidend, sich nicht unter den Druck zu setzen, immer positiv zu denken. Das kann zu Stress führen, wenn man das Gefühl hat, nicht positiv bleiben zu können, und befürchtet, die eigenen Heilungschancen zu ruinieren. Diese Einstellung ist nicht hilfreich.
Meiner Meinung nach ist ein liebevoller Umgang mit sich selbst am wichtigten und bestimmte Dinge so zu akzeptieren, wie sie kommen. Mein Rat an Betroffene: Tut das, was sich für euch richtig anfühlt, und konzentriert euch auf das, was für eurer Wohlbefinden am besten ist.
Es ist inspirierend zu wissen, dass circa jede vierte Chemotherapie mit den von uns hergestellten Wirkstoffen ermöglicht wird.
Ich bin definitiv stolz darauf, in diesem Bereich zu arbeiten und zur Entwicklung lebensverändernder Produkte beizutragen. Es ist erfüllend zu wissen, dass wir eine Rolle im weltweiten Kampf gegen Krebs spielen.
Und ich denke, es ist gut, dass ich bei Heraeus nicht für Investitionen zuständig bin, denn ich würde wahrscheinlich jede Idee zur Krebsbehandlung finanzieren. Jedes Mal, wenn ich jemanden mit einer neuen Idee für ein Medikament begegne, bedeutet das für mich neue Hoffnung für die Patienten.
Es war eine hervorragende Fortbildung, die ich nicht weiterempfehlen würde - auch wenn ich ich dabei viel Fachwissen gesammelt habe.
Ich kann fordernd sein. Mir selbst gegenüber und anderen. Ich denke, dass mich diese Erfahrung etwas milder, einfühlsamer und mitfühlender gemacht hat. Ich habe gelernt, meine eigenen Grenzen zu erkennen und sie zu respektieren. Früher – und auch jetzt noch – habe ich mich immer als Leistungsträgerin gesehen. Aber als ich diesen Standards einmal nicht gerecht werden konnte, musste ich mich damit abfinden, dass es Grenzen gibt. Ich habe gelernt, dass ich auch dann gut genug bin, wenn ich nur innerhalb dieser Grenzen etwas erreichen kann. Die Erkenntnis, dass mein Wert genau derselbe ist, war unglaublich kraftvoll. Diese Perspektive hilft mir bis heute – nicht nur, wenn es darum geht, meine eigenen Grenzen anzuerkennen, sondern auch, die Grenzen anderer zu verstehen und zu respektieren.
Was das Thema Depression betrifft, muss ich zugeben, dass ich vor dieser Erfahrung manchmal den Drang hatte, Menschen, die mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen haben, zu sagen: „Reiß dich zusammen.“ Heute weiß ich, dass das eine uninformierte, rücksichtslose und voreingenommene Sichtweise war. Ich habe verstanden, dass Traurigkeit und Kummer sehr reale Emotionen sind und dass es nicht immer möglich ist, sich „zusammenzureißen“. Selbst wenn ich alles in meiner Macht Stehende tat, um mich aufzumuntern – wie Freunde zu treffen, aktiv zu bleiben oder meine Lieblingsmusik zu hören – verspürte ich immer noch eine unglaubliche Traurigkeit.
Ich glaube nicht, dass ich das jemals vollständig verstanden hätte, wenn ich nicht die Diagnose erhalten und alle Behandlungen durchlaufen hätte. Manche Dinge kann man nur durch die persönliche Erfahrung wirklich nachvollziehen.
Vielleicht bin ich nicht die passendste Person, um diese Frage zu beantworten, da wir in unserem Tagesgeschäft nicht direkt mit den neuesten Technologien für die Krebsbehandlung arbeiten.
Meiner Meinung nach ist es unwahrscheinlich, dass eine Heilung für jede einzelne Krebsart entwickelt wird, da die Arten und Ursachen von Krebs einfach zu unterschiedlich sind. Nichtsdestotrotz hoffe ich darauf.
Stattdessen sollte das nächste Ziel meiner Meinung nach sein – wenn Prävention nicht möglich ist oder nicht erfolgreich war – Krebs von einer tödlichen Krankheit in eine chronische Erkrankung umzuwandeln, die behandelt werden kann, zum Beispiel ähnlich wie Diabetes.
Das oberste Ziel ist natürlich immer die vollständige Genesung. Aber wenn das nicht möglich ist, sollten wir uns bemühen, einen Punkt zu erreichen, an dem wir Krebs gut im Griff haben, Menschen also auch mit Krebs ein langes, glückliches und gesundes Leben führen können. Mein persönlicher Wunsch ist es, dass die nächste Frau, die hört, dass sie eine Überlebensrate von 95 % hat, wirklich daran glauben kann.
Zusätzlich zur körperlichen Behandlung empfehle ich dringend, professionelle psychologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen – nicht nur für die Patientin, sondern auch für die Familienmitglieder. Leider gibt es immer noch ein gewisses Stigma, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Als Betroffene empfehle ich, das zu vergessen und sich auf das eigene Wohlbefinden zu konzentrieren!
Jeder muss seinen eigenen Weg finden, um mit den verschiedenen Aspekten zurechtzukommen. Und das ist in Ordnung. Ich gebe zwei Beispiele: Ich habe mich von Anfang an entschieden, keine Perücke zu tragen. Stattdessen habe ich auffällige Ohrringe getragen und bin so ausgegangen, wie ich war. Ich habe meinem Krebs auch einen Namen gegeben: Drecksding. An Krebs kann man sterben, aber niemand stirbt an Drecksding. Ich hatte das Gefühl, dass ich ihm damit die Fähigkeit nahm, mich umzubringen. Das alles half mir, mich selbstbewusst und selbstbestimmt anstatt als Opfer zu fühlen. Dieser Ansatz ist vielleicht nicht für jeden geeignet. Mein Rat ist einfach: Tut das, was euch guttut!
Dem Fachpersonal möchte ich sagen, dass sie eine unglaubliche Arbeit leisten. Es muss schwer für sie sein, täglich so viele traurige Geschichten und dazu auch unser überlastetes Gesundheitssystem auszuhalten. Ich spreche ihnen meine Anerkennung aus und ermutige sie, weiter nach noch besseren Behandlungsmethoden zu forschen.
Einem Mitpatienten sagte ich: „Es tut mir leid, dass du das auch durchmachen musst, und ich wünsche dir viel Glück.“ Darüber hinaus? Nun, nichts, was jemand anderes mir gesagt hat, hat mir wirklich geholfen – ich musste meine eigenen Worte für mich selbst finden. Ich teile sie dennoch mit ihnen, in der Hoffnung, dass sie ihnen ein wenig helfen werden:
„Ich bin immer noch mittendrin, da ich die Fünfjahresmarke noch nicht erreicht habe. Eine Krebsdiagnose verändert zwar das Leben, bedeutet aber nicht, dass man kein glückliches und sinnvolles Leben führen kann. Mit der Zeit wird die Erfahrung zu einem Teil von einem selbst, anstatt die eigene Identität gänzlich zu definieren. Ich habe eine Phase durchgemacht, in der ich mir nichts sehnlicher wünschte, als mein altes Leben zurückzubekommen. Aber inzwischen habe ich erkannt, dass das neue Leben, das ich begonnen habe, genauso gut ist wie das alte. Mein Rat ist, großzügig und liebevoll mit sich selbst umzugehen, während man sich auf dieser Reise befindet.“
Danke Andrea, für diese offenen und ehrlichen Wrote!